Ein eingefrorenes Segelschiff Ein eingefrorenes Segelschiff als unser Symbol einer eindrucksvollen Führungsarbeit in der Bewältigung einer extrem schwierigen Herausforderung. Autor: Norbert Köhler Der berühmte Polarforscher Sir Ernest Henry Shackletons war Expeditionsleiter einer Südpol-Expedition in den Jahren 1914 bis 1916. Obwohl er sein eigentliches Ziel verfehlte, gelang es Shackleton unter schwierigsten Bedingungen alle seine Männer sicher nach Hause zu bringen, nachdem ihr Schiff im abgelegenen Eismeer untergegangen ist. Dies gelang ihm durch Einsatz besonderer Führungsqualitäten, die er sich in mehr als zwei Jahrzehnten perfektioniert hatte. Seine Risikobereitschaft und seine Überlebensstrategie erscheinen besonders relevant für das heutige unternehmerische Denken. Shackleton stand vor vielen Problemen, die auch heutigen Führungskräften vertraut sind: Er musste eine heterogene Gruppe dazu bringen, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten, sich mit ewigen Neinsagern auseinander setzen, die unverbesserlichen Pessimisten aufmuntern und die Unzufriedenen davon abhalten, die Atmosphäre zu vergiften. Dabei schien Shackleton so gar nicht in das Bild einer erfolgreichen Führungskraft zu passen. Als Jugendlicher war er sehr introvertiert, interessierte sich mehr für Bücher als für Sport und wuchs, umgeben von fast ausschließlich weiblichen Familienmitgliedern, liebevoll umsorgt auf. Er brach seine Schule sehr früh ab und wurde zum Leidwesen seines Vaters Schiffsjunge. Aber er arbeitete hart, mit 24 hatte er sein Kapitänspatent erworben und konnte jedes Schiff der Handelsmarine kommandieren. Aussagen von Peter Drucker und Fredmund Malik verweisen auf die Wichtigkeit sozialer Kompetenzen in Krisensituationen. Diese sicherten nicht nur maßgeblich das Überleben der Expeditions-Teilnehmer, sondern gewinnen auch im heutigen Management zunehmend an Bedeutung. Im August 1914 verließen unter der Leitung von Sir Ernest Henry Shackleton 27 Männer von London aus mit dem Schiff "Endurance" ihre Heimat in Richtung Antarktis. Es sollte die erste Durchquerung des antarktischen Kontinentes werden. Shackleton plante, mit sechs Männer und 70 Hunden in der Vahsel Bay an Land zu gehen und ziemlich genau gegenüber, auf der anderen Seite des antarktischen Kontinents, auf ein zweites Schiff zu treffen. Die Mannschaft dieses Schiffes sollte von ihrem Ausgangspunkt bis fast an den Südpol eine Reihe von Proviantlager anlegen.  Auf ihrer Reise im Weddellmeer Richtung Süden stießen Shackleton und seine Männer ungewöhnlich früh auf Packeis (7. Dezember). Schon bald geriet die Endurance in die Fänge des Packeises, rund 2.000 Kilometer vor dem Ziel. Mühsam manövriert die Crew das Schiff durch Eisschollen und Fahrrinnen. Anstatt umzudrehen segelten und dampften sie weiter. Dann der 19. Januar 1915: Die "Eisfalle" schnappt zu, die Endurance ist eingefroren - mitten im antarktischen Sommer. Sie waren nur 80 Meilen von der geplanten Landungsstelle entfernt, aber die Endurance steckte endgültig im Packeis fest. Ernest Shackleton lässt das Schiff für die Überwinterung vorbereiten. Die Besatzung zieht in den wärmenden Bauch des Schiffes. Im Mai geht für drei Monate die Sonne unter. Das anbrechende Frühjahr bringt das Eis in Bewegung, die Endurance droht unter dem Druck der Eisschollen zu zerbersten. Der 27. Oktober wird zum Schicksalstag für die Besatzung: Das Expeditionsteam verlässt, gerade noch rechtzeitig, das Schiff. Am nächsten Morgen wird das Schiff von den Eismassen zusammengeschoben, das Vorderdeck überflutet, die Offiziersmesse zu drei Vierteln mit Eis gefüllt. Ab dem 327. Tag der Reise ist die Besatzung gezwungen, zu Fuß weiter durch eine weiße Wildnis zu ziehen. Doch die Schiffbrüchigen schaffen wegen zahlreicher Umwege zwischen den gigantischen Eismassen nur wenige Kilometer am Tag. Es folgt eine Zeit des Wartens, denn die Shackleton-Expedition ist vom Eis eingeschlossen. Über drei Monate campieren die Forscher im "Patience Camp", dem Gedulds-Camp und  treiben auf dem Packeis Richtung Norden.  Erst im April des folgenden Jahres öffnen sich Wasserrinnen zwischen den gefrorenen Eisschollen und die Männer nutzen ihre Chance. Am 9. April 1916 erreichen sie die Eiskante und lassen drei Rettungsboote zu Wasser, die sie von der Endurance mitgenommen hatten. Auf diesen drei kleinen Rettungsbooten segeln sie unter schwierigsten Bedingungen und erreichen endlich am 15. April 1916, dem 498. Tag der Reise, wieder erstmals Land. Die Shackleton-Crew erreicht die Elefanteninsel in Süd-Shetland. Doch sollten noch fünf Monate bis zur endgültigen Rettung vergehen. Denn die Elefanteninsel ist unbewohnt. Niemand wird die Abenteurer dort vermuten und vorbeikommen, um das Team zu retten. Zu guter Letzt traf Ernest Shackleton eine sehr gewagte, aber die rettende Entscheidung: In einem winzigen Rettungsboot macht er sich mit einigen Männern auf den Weg, um Hilfe zu holen. Diese 800 Meilen lange Überquerung  des gefährlichsten, windigsten und kältesten Ozeans der Welt, in ständiger Nässe und  zahlreichen Gefahren ausgesetzt, gilt noch heute als eine der unglaublichsten Leistungen.  Es gab nur wenige Minuten am Tag, die eine Peilung der Position erlaubte. Schon die geringste Kursabweichung hätte zu einem Verfehlen ihres Zieles, der Insel South Georgia, geführt. Umdrehen war auf Grund der Luftströmungen nicht möglich und die nächsten 3000 Meilen boten keine Landungsmöglichkeiten. Als sie nach 17 Tagen völlig erschöpft und ständig durchnässt in South Georgia ankamen, landeten sie auf der unbewohnten Seite der Insel. In einem letzten Kraftakt kletterte Shackleton mit seinen Begleitern 36 Stunden lang über das gebirgige, unbekannte Landesinnere. Dort gab es Walfangstationen, von denen sie sich Hilfe für die restliche Crew erhofften. Bei der anschließenden Rettungsaktion wurden alle Crewmitglieder lebend geborgen. Sie waren 635 Tage in der Antarktis verschollen und Shackleton hat sie alle relativ gesund wieder zurück geführt. Als die Endurance 1914 in See stach, war Shackleton 40 Jahre alt und ein erfahrener Expeditionsleiter. Er hatte keine Illusionen mehr hinsichtlich der Vollkommenheit von Menschen oder Vorräten; er wusste,  dass das Eis beide zerstören konnte und dass der Erfolg oder das Scheitern des Vorhabens letztendlich allein von ihm abhängen würde. Er war zu einem  klugen, erfahrenen Führer mit großem Selbstbewusstsein herangereift. Aus seiner Erfahrung wusste er, welche Eigenschaften Expeditionen zum Scheitern bringen können: kleinliches Denken, verantwortungslose Vorgesetzte, unerträgliche Arbeitsbedingungen, mangelndes Vertrauen und fehlenden Respekt zwischen Mannschaftskameraden. Weil er Verschwendung nicht ausstehen konnte, arbeitete er sehr rationell, was manche fälschlicherweise für Ungeduld oder Unbarmherzigkeit hielten. Er vergeudete keine Zeit mit leeren Gesten; er verschwendete keine Energie mit der grundlosen Disziplinierung anderer. Seine ganze Freizeit verbrachte er damit, zu lesen und Pläne zu schmieden. Er wusste, was nicht funktionierte: eine starre, distanzierte, ungerechte und unsichere Führung. Auf der Endurance konzentrierte er sich daher auf den wichtigsten Aspekt, der ihm die beste Chance gab, seine Ziele zu erreichen: Einigkeit. Der Aufbau einer solidarischen und loyalen Mannschaft war die Grundlage für Shackletons Führungsansatz. Für ihm war Teamgeist mehr als ein Erfolgsfaktor. Kameradschaft war bereits ein eigenständiges Ziel. Er liebte seine Mannschaft immer, wenn auch nicht immer jedes einzelne Mitglied. Er genoss geradezu seine Aufgabe, eine Bindung zwischen und zu den einzelnen Männern aufzubauen. Shackleton beurteilte die Leistungen seiner Männer in zweierlei Hinsicht: ob sie ihre Sache gut machten und ob sie loyal waren. Loyalität war eindeutig das wichtigere Kriterium. Er stellte auf einzigartige Weise ein Gleichgewicht zwischen der Arbeit der Wissenschaftler und der Seeleute her. Den Wissenschaftlern übertrug er ihren Anteil an den täglichen Pflichten an Bord; gelegentlich mussten sie ihre wissenschaftliche Arbeit wegen dringlicherer Tätigkeiten zurückstellen. Umgekehrt mussten die Matrosen bei wissenschaftlichen Messungen und der Entnahme von Proben mithelfen. Selbst der Koch bekam einen eigens angelernten Gehilfen. Teilweise war Shackletons Strategie darauf zurückzuführen, dass er aus der Not eine Tugend machen musste.  Zugleich durchbrach er damit aber auch die traditionelle Seefahrtshierarchie und erzielte den nützlichen Effekt, sich eine Mannschaft von Generalisten heranzuziehen, die sich mit allen Arbeiten an Bord auskannten. Wenn man Menschen entwickeln will, muss man von ihnen etwas verlangen. Das steht ganz im Gegensatz zu den üblichen Gepflogenheiten – nämlich etwas zu bieten. Viele der heutigen übertriebenen Versprechen auf Karriereaussichten verderben vor allem junge Mitarbeiter und behindern ihre Entwicklung. Shackleton gab sich die größte Mühe, alle Männer stets gerecht zu behandeln. Er hatte sich eine klare Meinung über jeden seiner Männer gebildet, aber behielt diese für sich. Verletzte Gefühle und Beleidigungen wurden vom ihm sehr ernst genommen. Seine Männer berichteten, dass er  jedes Mal, wenn er das Gefühl hatte, mit jemandem zu hart umgesprungen zu sein, die Unstimmigkeit durch ein klärendes Gespräch unter vier Augen aus der Welt schaffte. Er gab einem sofort das Gefühl, dass die Beziehung zu ihm wieder im Lot war. Shackleton ging immer mit gutem Beispiel voran. Er verlangte von niemandem, Arbeiten zu verrichten, zu denen er selbst nicht bereit war. Shackleton legte auch bei den unangenehmsten Arbeiten mit Hand an, wenn dies nötig war. Wenn einer seiner Männer krank oder verletzt war, übernahm er meistens dessen Pflichten. Er half dabei, schwere Gegenstände zu heben, zu putzen und verlegte sogar Linoleum. „Er hat die Offiziersmesse weitaus besser geputzt als die meisten Nachtwachen“, schrieb einer seiner Männer. Seine Mitarbeit hatte viele Vorteile: Er konnte mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, wie er sich die Erledigung der Arbeiten wünschte, er konnte besser verstehen, welche Mühen mit den einzelnen Aufgaben verbunden waren, konnte die Stärken und Schwächen der einzelnen Männer besser einschätzen, verlieh allen Pflichten an Bord eine gewisse Würde, und er stärkte sein eigenes Ansehen in der Mannschaft. Vor allem aber ermöglichte ihm diese Präsenz, eine gute persönliche Beziehung zu seinen Männern aufzubauen. Shackleton stellte ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Vergnügen her. Dabei trennte er zwar die beiden Bereiche nicht völlig voneinander, ließ aber niemals zu, dass einer überhand nahm. Obwohl er viele besondere Feste veranstaltete, erwartete er von den Männern ebenso, dass ihnen die Arbeit Spaß machte, da sie dann seiner Meinung nach produktiver waren. Shackletons Bemühungen, das Gemeinschaftsgefühl seiner Männer zu stärken, zahlten sich aus, als die Lage Besorgnis erregend wurde. Am 18. Januar 1915, als die Endurance nur eine Tagesstrecke von ihrer geplanten Landestelle entfernt war, gaben die Männer nicht Shackleton die Schuld, sie in diese Lage gebracht zu haben. Wenn überhaupt, dann tat es ihnen leid, dass er derjenige war, dem eine persönliche Katastrophe drohte, der sein Geld, das Vertrauen seiner Gönner und vielleicht sogar seinen hart erarbeiteten Ruf verlieren würde. Aber Shackleton, der Optimist, gab noch nicht auf. Für die richtige Auswahl entwickelte Shackleton Grundsätze, die in unseren Seminaren eine wichtige Grundlage bilden.  Shackleton plante diese Expedition sehr detailliert und visualisierte sich alle wichtigen Schritte. Er besaß die Eigenschaften effizienter Führungskräfte in der Wirtschaft: jener Manager, die es verstehen, sich geschickt dem immer schnelleren Wandel anzupassen. Shackleton weckte in seinen Männern den Wunsch, ihm zu folgen; er zwang sie nicht dazu. Dabei änderte er das Bild, das die Männer in seiner Mannschaft von sich und der Welt hatten. Seine Arbeit inspirierte nicht nur sie ihr Leben lang, sondern beflügelt noch heute Menschen auf der ganzen Welt. Seine wichtigsten Werkzeuge in der Führung waren Humor, Großzügigkeit, Intelligenz, Stärke und Anteilnahme. Nach den Aussagen von Peter Drucker und Fredmund Malik alles Eigenschaften, die in der heutigen modernen Wirtschaft als „soft skills“ gefragt sind und auch künftig die Führungseffizienz  in schwierigen betrieblichen Situationen bestimmen werden. Literaturquellen: Drucker, Peter F. (2002): Was ist Management? Das Beste aus 50 Jahren, München: Econ Ullstein List. Lansing, Alfred (2000): 635 Tage im Eis. Die Shackleton-Expedition, Berlin: Goldmann Malik, Fredmund (2002): Führen – Leisten – Leben. Wirksames Management für eine neue Zeit, 3. Aufl., München: Heyne. Morrell, Margot/Capparell, Stephanie (2003): Shackletons Führungskunst. Was Manager von dem großen Polarforscher lernen können, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
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Ein eingefrorenes Segelschiff Ein eingefrorenes Segelschiff als unser Symbol einer eindrucksvollen Führungsarbeit in der Bewältigung einer extrem schwierigen Herausforderung. Autor: Norbert Köhler Der berühmte Polarforscher Sir Ernest Henry Shackletons war Expeditionsleiter einer Südpol-Expedition in den Jahren 1914 bis 1916. Obwohl er sein eigentliches Ziel verfehlte, gelang es Shackleton unter schwierigsten Bedingungen alle seine Männer sicher nach Hause zu bringen, nachdem ihr Schiff im abgelegenen Eismeer untergegangen ist. Dies gelang ihm durch Einsatz besonderer Führungsqualitäten, die er sich in mehr als zwei Jahrzehnten perfektioniert hatte. Seine Risikobereitschaft und seine Überlebensstrategie erscheinen besonders relevant für das heutige unternehmerische Denken. Shackleton stand vor vielen Problemen, die auch heutigen Führungskräften vertraut sind: Er musste eine heterogene Gruppe dazu bringen, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten, sich mit ewigen Neinsagern auseinander setzen, die unverbesserlichen Pessimisten aufmuntern und die Unzufriedenen davon abhalten, die Atmosphäre zu vergiften. Dabei schien Shackleton so gar nicht in das Bild einer erfolgreichen Führungskraft zu passen. Als Jugendlicher war er sehr introvertiert, interessierte sich mehr für Bücher als für Sport und wuchs, umgeben von fast ausschließlich weiblichen Familienmitgliedern, liebevoll umsorgt auf. Er brach seine Schule sehr früh ab und wurde zum Leidwesen seines Vaters Schiffsjunge. Aber er arbeitete hart, mit 24 hatte er sein Kapitänspatent erworben und konnte jedes Schiff der Handelsmarine kommandieren. Aussagen von Peter Drucker und Fredmund Malik verweisen auf die Wichtigkeit sozialer Kompetenzen in Krisensituationen. Diese sicherten nicht nur maßgeblich das Überleben der Expeditions-Teilnehmer, sondern gewinnen auch im heutigen Management zunehmend an Bedeutung. Im August 1914 verließen unter der Leitung von Sir Ernest Henry Shackleton 27 Männer von London aus mit dem Schiff "Endurance" ihre Heimat in Richtung Antarktis. Es sollte die erste Durchquerung des antarktischen Kontinentes werden. Shackleton plante, mit sechs Männer und 70 Hunden in der Vahsel Bay an Land zu gehen und ziemlich genau gegenüber, auf der anderen Seite des antarktischen Kontinents, auf ein zweites Schiff zu treffen. Die Mannschaft dieses Schiffes sollte von ihrem Ausgangspunkt bis fast an den Südpol eine Reihe von Proviantlager anlegen.  Auf ihrer Reise im Weddellmeer Richtung Süden stießen Shackleton und seine Männer ungewöhnlich früh auf Packeis (7. Dezember). Schon bald geriet die Endurance in die Fänge des Packeises, rund 2.000 Kilometer vor dem Ziel. Mühsam manövriert die Crew das Schiff durch Eisschollen und Fahrrinnen. Anstatt umzudrehen segelten und dampften sie weiter. Dann der 19. Januar 1915: Die "Eisfalle" schnappt zu, die Endurance ist eingefroren - mitten im antarktischen Sommer. Sie waren nur 80 Meilen von der geplanten Landungsstelle entfernt, aber die Endurance steckte endgültig im Packeis fest. Ernest Shackleton lässt das Schiff für die Überwinterung vorbereiten. Die Besatzung zieht in den wärmenden Bauch des Schiffes. Im Mai geht für drei Monate die Sonne unter. Das anbrechende Frühjahr bringt das Eis in Bewegung, die Endurance droht unter dem Druck der Eisschollen zu zerbersten. Der 27. Oktober wird zum Schicksalstag für die Besatzung: Das Expeditionsteam verlässt, gerade noch rechtzeitig, das Schiff. Am nächsten Morgen wird das Schiff von den Eismassen zusammengeschoben, das Vorderdeck überflutet, die Offiziersmesse zu drei Vierteln mit Eis gefüllt. Ab dem 327. Tag der Reise ist die Besatzung gezwungen, zu Fuß weiter durch eine weiße Wildnis zu ziehen. Doch die Schiffbrüchigen schaffen wegen zahlreicher Umwege zwischen den gigantischen Eismassen nur wenige Kilometer am Tag. Es folgt eine Zeit des Wartens, denn die Shackleton-Expedition ist vom Eis eingeschlossen. Über drei Monate campieren die Forscher im "Patience Camp", dem Gedulds-Camp und  treiben auf dem Packeis Richtung Norden.  Erst im April des folgenden Jahres öffnen sich Wasserrinnen zwischen den gefrorenen Eisschollen und die Männer nutzen ihre Chance. Am 9. April 1916 erreichen sie die Eiskante und lassen drei Rettungsboote zu Wasser, die sie von der Endurance mitgenommen hatten. Auf diesen drei kleinen Rettungsbooten segeln sie unter schwierigsten Bedingungen und erreichen endlich am 15. April 1916, dem 498. Tag der Reise, wieder erstmals Land. Die Shackleton- Crew erreicht die Elefanteninsel in Süd- Shetland. Doch sollten noch fünf Monate bis zur endgültigen Rettung vergehen. Denn die Elefanteninsel ist unbewohnt. Niemand wird die Abenteurer dort vermuten und vorbeikommen, um das Team zu retten. Zu guter Letzt traf Ernest Shackleton eine sehr gewagte, aber die rettende Entscheidung: In einem winzigen Rettungsboot macht er sich mit einigen Männern auf den Weg, um Hilfe zu holen. Diese 800 Meilen lange Überquerung  des gefährlichsten, windigsten und kältesten Ozeans der Welt, in ständiger Nässe und  zahlreichen Gefahren ausgesetzt, gilt noch heute als eine der unglaublichsten Leistungen.  Es gab nur wenige Minuten am Tag, die eine Peilung der Position erlaubte. Schon die geringste Kursabweichung hätte zu einem Verfehlen ihres Zieles, der Insel South Georgia, geführt. Umdrehen war auf Grund der Luftströmungen nicht möglich und die nächsten 3000 Meilen boten keine Landungsmöglichkeiten. Als sie nach 17 Tagen völlig erschöpft und ständig durchnässt in South Georgia ankamen, landeten sie auf der unbewohnten Seite der Insel. In einem letzten Kraftakt kletterte Shackleton mit seinen Begleitern 36 Stunden lang über das gebirgige, unbekannte Landesinnere. Dort gab es Walfangstationen, von denen sie sich Hilfe für die restliche Crew erhofften. Bei der anschließenden Rettungsaktion wurden alle Crewmitglieder lebend geborgen. Sie waren 635 Tage in der Antarktis verschollen und Shackleton hat sie alle relativ gesund wieder zurück geführt. Als die Endurance 1914 in See stach, war Shackleton 40 Jahre alt und ein erfahrener Expeditionsleiter. Er hatte keine Illusionen mehr hinsichtlich der Vollkommenheit von Menschen oder Vorräten; er wusste,  dass das Eis beide zerstören konnte und dass der Erfolg oder das Scheitern des Vorhabens letztendlich allein von ihm abhängen würde. Er war zu einem  klugen, erfahrenen Führer mit großem Selbstbewusstsein herangereift. Aus seiner Erfahrung wusste er, welche Eigenschaften Expeditionen zum Scheitern bringen können: kleinliches Denken, verantwortungslose Vorgesetzte, unerträgliche Arbeitsbedingungen, mangelndes Vertrauen und fehlenden Respekt zwischen Mannschaftskameraden. Weil er Verschwendung nicht ausstehen konnte, arbeitete er sehr rationell, was manche fälschlicherweise für Ungeduld oder Unbarmherzigkeit hielten. Er vergeudete keine Zeit mit leeren Gesten; er verschwendete keine Energie mit der grundlosen Disziplinierung anderer. Seine ganze Freizeit verbrachte er damit, zu lesen und Pläne zu schmieden. Er wusste, was nicht funktionierte: eine starre, distanzierte, ungerechte und unsichere Führung. Auf der Endurance konzentrierte er sich daher auf den wichtigsten Aspekt, der ihm die beste Chance gab, seine Ziele zu erreichen: Einigkeit. Der Aufbau einer solidarischen und loyalen Mannschaft war die Grundlage für Shackletons Führungsansatz. Für ihm war Teamgeist mehr als ein Erfolgsfaktor. Kameradschaft war bereits ein eigenständiges Ziel. Er liebte seine Mannschaft immer, wenn auch nicht immer jedes einzelne Mitglied. Er genoss geradezu seine Aufgabe, eine Bindung zwischen und zu den einzelnen Männern aufzubauen. Shackleton beurteilte die Leistungen seiner Männer in zweierlei Hinsicht: ob sie ihre Sache gut machten und ob sie loyal waren. Loyalität war eindeutig das wichtigere Kriterium. Er stellte auf einzigartige Weise ein Gleichgewicht zwischen der Arbeit der Wissenschaftler und der Seeleute her. Den Wissenschaftlern übertrug er ihren Anteil an den täglichen Pflichten an Bord; gelegentlich mussten sie ihre wissenschaftliche Arbeit wegen dringlicherer Tätigkeiten zurückstellen. Umgekehrt mussten die Matrosen bei wissenschaftlichen Messungen und der Entnahme von Proben mithelfen. Selbst der Koch bekam einen eigens angelernten Gehilfen. Teilweise war Shackletons Strategie darauf zurückzuführen, dass er aus der Not eine Tugend machen musste.  Zugleich durchbrach er damit aber auch die traditionelle Seefahrtshierarchie und erzielte den nützlichen Effekt, sich eine Mannschaft von Generalisten heranzuziehen, die sich mit allen Arbeiten an Bord auskannten. Wenn man Menschen entwickeln will, muss man von ihnen etwas verlangen. Das steht ganz im Gegensatz zu den üblichen Gepflogenheiten – nämlich etwas zu bieten. Viele der heutigen übertriebenen Versprechen auf Karriereaussichten verderben vor allem junge Mitarbeiter und behindern ihre Entwicklung. Shackleton gab sich die größte Mühe, alle Männer stets gerecht zu behandeln. Er hatte sich eine klare Meinung über jeden seiner Männer gebildet, aber behielt diese für sich. Verletzte Gefühle und Beleidigungen wurden vom ihm sehr ernst genommen. Seine Männer berichteten, dass er  jedes Mal, wenn er das Gefühl hatte, mit jemandem zu hart umgesprungen zu sein, die Unstimmigkeit durch ein klärendes Gespräch unter vier Augen aus der Welt schaffte. Er gab einem sofort das Gefühl, dass die Beziehung zu ihm wieder im Lot war. Shackleton ging immer mit gutem Beispiel voran. Er verlangte von niemandem, Arbeiten zu verrichten, zu denen er selbst nicht bereit war. Shackleton legte auch bei den unangenehmsten Arbeiten mit Hand an, wenn dies nötig war. Wenn einer seiner Männer krank oder verletzt war, übernahm er meistens dessen Pflichten. Er half dabei, schwere Gegenstände zu heben, zu putzen und verlegte sogar Linoleum. „Er hat die Offiziersmesse weitaus besser geputzt als die meisten Nachtwachen“, schrieb einer seiner Männer. Seine Mitarbeit hatte viele Vorteile: Er konnte mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, wie er sich die Erledigung der Arbeiten wünschte, er konnte besser verstehen, welche Mühen mit den einzelnen Aufgaben verbunden waren, konnte die Stärken und Schwächen der einzelnen Männer besser einschätzen, verlieh allen Pflichten an Bord eine gewisse Würde, und er stärkte sein eigenes Ansehen in der Mannschaft. Vor allem aber ermöglichte ihm diese Präsenz, eine gute persönliche Beziehung zu seinen Männern aufzubauen. Shackleton stellte ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Vergnügen her. Dabei trennte er zwar die beiden Bereiche nicht völlig voneinander, ließ aber niemals zu, dass einer überhand nahm. Obwohl er viele besondere Feste veranstaltete, erwartete er von den Männern ebenso, dass ihnen die Arbeit Spaß machte, da sie dann seiner Meinung nach produktiver waren. Shackletons Bemühungen, das Gemeinschaftsgefühl seiner Männer zu stärken, zahlten sich aus, als die Lage Besorgnis erregend wurde. Am 18. Januar 1915, als die Endurance nur eine Tagesstrecke von ihrer geplanten Landestelle entfernt war, gaben die Männer nicht Shackleton die Schuld, sie in diese Lage gebracht zu haben. Wenn überhaupt, dann tat es ihnen leid, dass er derjenige war, dem eine persönliche Katastrophe drohte, der sein Geld, das Vertrauen seiner Gönner und vielleicht sogar seinen hart erarbeiteten Ruf verlieren würde. Aber Shackleton, der Optimist, gab noch nicht auf. Für die richtige Auswahl entwickelte Shackleton Grundsätze, die in unseren Seminaren eine wichtige Grundlage bilden.  Shackleton plante diese Expedition sehr detailliert und visualisierte sich alle wichtigen Schritte. Er besaß die Eigenschaften effizienter Führungskräfte in der Wirtschaft: jener Manager, die es verstehen, sich geschickt dem immer schnelleren Wandel anzupassen. Shackleton weckte in seinen Männern den Wunsch, ihm zu folgen; er zwang sie nicht dazu. Dabei änderte er das Bild, das die Männer in seiner Mannschaft von sich und der Welt hatten. Seine Arbeit inspirierte nicht nur sie ihr Leben lang, sondern beflügelt noch heute Menschen auf der ganzen Welt. Seine wichtigsten Werkzeuge in der Führung waren Humor, Großzügigkeit, Intelligenz, Stärke und Anteilnahme. Nach den Aussagen von Peter Drucker und Fredmund Malik alles Eigenschaften, die in der heutigen modernen Wirtschaft als „soft skills“ gefragt sind und auch künftig die Führungseffizienz  in schwierigen betrieblichen Situationen bestimmen werden. Literaturquellen: Drucker, Peter F. (2002): Was ist Management? Das Beste aus 50 Jahren, München: Econ Ullstein List. Lansing, Alfred (2000): 635 Tage im Eis. Die Shackleton-Expedition, Berlin: Goldmann Malik, Fredmund (2002): Führen – Leisten – Leben. Wirksames Management für eine neue Zeit, 3. Aufl., München: Heyne. Morrell, Margot/Capparell, Stephanie (2003): Shackletons Führungskunst. Was Manager von dem großen Polarforscher lernen können, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
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