Über die Bewältigung
komplexer Aufgaben
Autor: Norbert Köhler
„Es ist alles so kompliziert!“ Mit diesem Zitat wird
gerne an den früheren Bundeskanzler Sinowatz
erinnert, der 1983 in seiner Regierungserklärung
aufzeigen wollte, wie komplex unsere Welt
geworden ist.
Sinowatz sagte kompliziert, meinte aber
wahrscheinlich komplex. Denn die Begriffe
Komplexität und Kompliziertheit werden gerne
synonym gebraucht. Erst bei der Bewältigung
komplizierter oder komplexer Aufgaben zeigt sich
der Unterschied vor allem in den Kompetenzen, die
für ihre wirksame Lösung notwendig sind.
Als anschauliche Beispiel: Ein moderner
Dieselmotor ist sehr kompliziert aufgebaut. Es
braucht fachliche Kompetenz, um diesen in seine
Bestandteile zu zerlegen und wieder
zusammenzubauen. Wer entsprechend technisch
begabt und dies ausreichend geübt hat, ist nach
einer gewissen Zeit fähig, Dieselmotoren zu
zerlegen und sogar zu reparieren.
Komplex hingegen ist die unternehmerische
Entscheidung, die über Zukunft eines Diesel-
Motorenwerkes bestimmt. Wird die Nachfrage auch
die nächsten hundert Jahre anhalten oder in fünf
Jahren massiv einbrechen? Wie schnell wird sich
der Wandel zum E-Motor vollziehen?
Beispiele vom Wandel in der Fotografie und der
Mobiltelefonie zeigen, dass gut bewährte
Technologien samt ihrer hochentwickelten
Kompetenzen in kürzester Zeit vom Markt
verschwinden können.
Diese unternehmerischen Entscheidungen richtig
zu treffen, sind hochkomplexe Aufgaben.
Sie sind weder einfacher noch schwieriger als die
Aufgaben eines Entwicklungsingenieurs, sondern
anders.
Ein komplexer Sachverhalt besteht aus vielen
unbekannten Elementen, die alle miteinander
verbunden sind und sich wechselseitig
beeinflussen. Im Gegensatz zu einem
mechanistischen, berechenbaren Modell, wie zum
Beispiel ein Dieselmotor, lassen sich die
zukünftigen Ereignisse in einem systemischen und
hochdynamischen Modell weder exakt errechnen
noch bestimmen.
Unternehmen investieren sehr viel Zeit und Geld in
die Erfassung und Auswertungen von Daten.
Von den Computersystemen wird erwartet, dass sie
diese Informationsflut bändigen und in
entscheidungsrelevante Informationen
transformieren. Komplexe Rechenmodelle, die
noch perfekter das mechanistische Denken
beherrschen und unsere Zukunft bestimmen.
Mit Wissen und Verstand sind komplexe
Entscheidungen nicht zu lösen. Hochdynamische
systemische Felder können aber von Menschen mit
besonderen Kompetenzen erfühlt werden. Wir alle
haben in uns die wenig genutzte Fähigkeit, Teil
eines Systems zu werden, uns einzulassen und
mittels unserer Intuition erahnen, wohin die Reise
geht.
Systemisch Denken ist nicht etwas, was Amerikaner
angeblich vor einigen Jahrzehnten erfunden haben,
sondern so alt, wie die Menschheit. Schon immer
wussten die Menschen, dass alles mit allem
verbunden ist. Altes schamanische Wissen, von den
alten Griechen kultiviert, von den Religionen
verschleiert und vor wenigen Jahrzehnten wieder
entdeckt.
Im Moment sitzen wir fußfrei vor der Weltbühne
und dürfen beobachten, wie ein neuer
amerikanischer Präsident durch aktionistisches
Intervenieren weltweit Politiker,
Wirtschaftsexperten, Psychologen und
Menschenrechtler wie eine Hühnerschar vor sich
hertreibt. Diese Experten streiten sich, ob Amerika
mit einem egoistischen Protektionismus gewinnen
oder verlieren wird. Mit ihren mechanistischen
Modellen haben sie keine Chance, die Wirkungen
zu berechnen und lassen ihr Bauchgefühl
pseudowissenschaftlich sprechen.
Ein weiteres wichtiges Merkmal komplexer Systeme
ist, dass sie sich selbst heilen können. Sie brauchen
kaum Eingriff von außen und werden trotzdem
gerne von selbsternannten Machern massiv
beeinflusst. Oft erst Jahre nach aktionistischen
Interventionen wird bewusst, dass damals
eigentlich keine Notwendigkeit dafür bestand. Um
ein komplexes System zu lenken, bedarf es oftmals
nur ein Verstehen und Einfühlungsvermögen.
Ein ganzheitlicher Heiler fühlt sich in das komplexe
System seines Patienten ein und versucht die
Aussagekraft eines Symptoms zu verstehen, Er
kennt die Kräfte der Selbstheilung, wird Teil dieses
Systems und fokussiert sich darauf, die
Selbstheilungsprozess zu fördern.
Sich in ein komplexes System einzufühlen und sich
darin wertschätzend zu bewegen, ist die besondere
Kompetenz, um komplexe Aufgaben wirksam und
nachhaltig zu bewältigen. Es wäre schön, wenn sich
auch Führungskräfte weniger als aktionistische
Macher, sondern stärker in der Rolle eines
ganzheitlichen Heilers erkennen könnten.